“Start small, but start!”
Im September fragte Erik Schäfer von der Konstruktion & Entwicklung unseren Simon Blake was ihn antreibt und wie Unternehmen richtig innovieren. Wir dürfen hier dieses spannende Interview zum Thema Agile Innovationskulturen teilen.
Herr Blake, große Unternehmen haben sich Ihnen und Ihrem Team anvertraut, wenn es um das Thema „Richtig innovieren“ geht. Wie geht das vor sich? Mit welcher Frage fängt man an?
Simon Blake: Wir fangen gerne mit der Frage
nach dem „Warum?“ an. Warum möchte ein Team
ein neues Produkt oder einen neuen Service auf
dem Markt bringen? Warum sucht ein Unternehmen
nach einem neuen Geschäftsmodell? Warum haben
sich Marktbedingungen oder Kundenbedürfnisse
verändert? Diese Fragen helfen uns, gemeinsam mit unseren Kunden besser zu verstehen, was sie antreibt. Häufig lassen sich schon in diesem frühen Reflexionsprozess bestimmte Annahmen herauskristallisieren, die einfach implizit als gegeben angesehen wurden und jetzt noch einmal bewusst hinterleuchtet werden können. Das ist ganz wichtig, wenn wir gemeinsam verstehen wollen, welche Suchfelder und Lösungsräume sich später eröffnen lassen. Zum Bei
spiel möchte niemand ein Loch in die Wand bohren, weil er Löcher in der Wand toll findet, sondern weil
er beispielsweise ein Bild aufhängen möchte. Fragt
man jetzt noch einmal, warum die Person ein Bild
aufhängen möchte, kommt vielleicht dabei heraus,
dass sie mit dem Bild eine schöne Erinnerung an
einen besonderen Moment in ihren Alltag holen will.
Stellt man sich nun die Frage, wie man Menschen
helfen kann, schöne Erinnerungen auf einfache Art
und Weise in ihrer Alltagsumgebung zu erleben, hat man sich einen ganz anderen Lösungsraum erschlossen. Dieser neue Lösungsraum lässt viel mehr Platz für innovative Ideen zu, als wenn man sich aus
schließlich um die Verbesserung des Bohrers oder
um die der Schraube kümmerte.
Was benötigen Sie und Ihr Team denn an Grundinformationen, um Kunden wie beispielsweise Audi, Festo oder Lapp zu unterstützen?
Simon Blake: Neben dem Warum schauen wir
uns die Rahmenbedingungen an. Was ist bisher
schon zum Thema geschehen? Wie viel Zeit steht zur Verfügung? Ist die Entwicklungsarbeit in cross
funktionalen Teams möglich? Geht es in erster Linie
um die Entwicklung einer singulären Innovation oder um den Aufbau einer Innovationskultur? Wir
arbeiten dabei nach dem Motto „Start small, but
start!“ Das heißt, dass wir gerne am Anfang einer Zusammenarbeit aus den gegebenen Rahmenbedingungen versuchen, das bestmögliche Setup für Innovation herzustellen, auch wenn wir zunächst
nur in kleinem Rahmen anfangen. Aus unserer Erfahrung ist es besser, beispielsweise zunächst mit einem kleinen crossfunktionalen Team in einem kurzen Zeitraum erste fassbare Ergebnisse zu produzieren, als eine große Innova
tionsoffensive mit viel Vorlauf generalstabsmäßig zu planen. Aus ersten Zwischenergebnissen lernt
nicht nur das Team schneller, was es alles noch nicht
weiß. Auch wir verstehen schneller, wo es in dem
Unternehmen beispielsweise Barrieren gibt, die
die Innovationsfähigkeit behindern oder wo sich
unerwartete Treiber für innovative Lösungen finden.
Agilität ist nicht nur in der Lösungsentwicklung
ein wichtiges Werkzeug, sondern auch beim Aufbau
einer Innovationskultur: Kleine Sprints führen ohne
großes Risiko zu schnellen ersten Ergebnissen, aus
denen wir schneller lernen können, als mit einem
Masterplan.
Die meisten Technikunternehmen denken vom Produkt her. Was ist daran falsch?
Simon Blake: Ist das tatsächlich noch immer so? Als ich vor zwölf Jahren die School of Design Thinking am Hasso Plattner Institut mit aufgebaut habe, war „Human Centered Innovation“ tatsächlich für
viele Unternehmen, die ich kennengelernt habe, eine
kleine Revolution. Mittlerweile hat sich aus meiner Sicht eine Menge getan. Unsere Pionierarbeit von damals hat vielleicht ein klein wenig dazu beigetragen: Mittlerweile finden sich Design Thinking und andere nutzerzentrierte Innovationsansätze an
vielen Unis standardmäßig im Curriculum wieder.
Und auch in vielen Unternehmen sind Begriffe wie
Business Model Canvas, User Experience oder Blue
Ocean keine Fremdwörter mehr.
Da können wir heute auf einem ganz anderen
Level anfangen, miteinander zu arbeiten. Dass der Kunde am Ende alles bezahlt, ist ja eine Binsenweisheit. Dass sich über ein exzellentes Kundenerlebnis höhere Unterscheidbarkeit und letztlich auch höhere Margen erschließen lassen als mit einer Pro
duktfokussierung, hat sich aus meiner Sicht auch schon recht weit herumgesprochen.
Nicht zuletzt durch Fernsehshows wie „Die Höhle der Löwen“ wird sogar einem Massenpubli
kum gezeigt, dass ich für einen erfolgreichen Pitch
zuallererst einmal eine überzeugende „Value Propo
sition“ brauche, die ein echtes Kundenproblem löst.
Herr Blake, Sie sagen, der deutsche Mit telstand sei idealtypisch dafür, um „das nächste große Ding“ herauszubringen. Woran machen Sie das fest?
Simon Blake: Im Vergleich zu großen Konzernen hat der Mittelstand häufig viel mehr Gründer-DNA in sich. Während die Großen versuchen, einfach Start-Up-Kultur aus dem Silicon Valley zu kopie ren, sich aber aufgrund ihrer schieren Größe häufignur sehr langsam einem Kulturwandel unterziehen können, sind Mittelständler hier klar im Vorteil: Im Mittelstand sitzen aus meiner Sicht mehr Leute mit einem Macher-Mindset, weil Prozesse weniger streng sind und man sich über Abteilungen hinweg besser kennt. Dadurch ist der Mittelstand häufig näher mit dem Ohr am Kunden. Macher-Mindset, flexiblere Prozesse und kun-denzentrierte Innovation – das sind letztlich die Faktoren, um die es häufig geht, wenn darüber disku tiert wird, dass Start-Ups mit Innovationen schneller sind als traditionelle Unternehemen. Gegenüber Start-Ups hat der Mittelstand wie derum den Vorteil, dass die Beziehung zum Kunden vergleichsweise lange besteht, während Start-Ups sich zunächst mühsam erste Kunden suchen und Vertrauen erst aufbauen müssen. Außerdem hat der Mittelstand im Vergleich zum Start-Up deutlich mehr Erfahrung, wenn es um scheinbar langweilige Standardprozesse geht, wie beispielsweise Controlling oder Recruitment. Viele Start-Ups scheitern nicht zuletzt daran, dass sie ihr schnelles Wachstum nicht mit den entsprechenden Prozessen abbilden können, weil beispielsweise die Gründer noch unerfahren sind.
Sie sagten, dass die Digitalisierung die jüngere Schwester der Globalisierung sei und beide zusammen die Geschwindigkeit erhöhen – auch für das Innovieren. Nimmt die Geschwindigkeit zu? Gelten Maschinen- laufzeiten von 20 Jahren nicht mehr?
Simon Blake: Die Innovationszyklen werden
immer schneller, das sagen zumindest alle Studien,
die ich kenne. Und auch meine Alltagserfahrung.
Ob Maschinenlaufzeiten von zwanzig Jahren nicht
mehr gelten, kann ich nicht beantworten, da ich
ausgewiesenermaßen kein Fachexperte für Anlagen
bin. Ich möchte aber gerne zwei Beobachtungen mit Ihnen teilen, die zeigen, dass sich auch im Anlagenbau und im Betreiben von Fabriken ganz neue Möglichkeiten quasi innerhalb der letzten fünf bis
zehn Jahre ergeben haben.
Seit der Einführung des iPhones im Jahr 2007
hat sich ein interessanter Wandel in der Gesellschaft
vollzogen: Sie können davon ausgehen, dass nahezu
alle Arbeiter und Instandhalter in einer Werkshalle
ein touchbasiertes Interface und Apps bedienen können. Viele von ihnen bringen das Smartphone jeden Tag mit zur Arbeit. Als Unternehmen können Sie also
mittlerweile ohne jegliche betriebliche Fortbildung
auf ein neues Level an digitalem Nutzer-know-how
in der Werkshalle zurückgreifen. Und Sie haben durch
die in der Hosentasche mitgebrachten Smartphones
eine Menge zusätzlicher Endgeräte im Werk – ohne,
dass das Unternehmen dafür etwas zahlen müsste.
Jetzt stellt sich doch die Frage, ob Sie die
Kamera des Smartphones beispielsweise als Barcode Scanner nutzen können, um sich an Geräten einzu-
loggen und gerätebezogene Daten zu bearbeiten. Festo hat zusammen mit uns die App Smartenance
entwickelt: Ein einfaches Tool, mit dem Sie in der
Fabrikhalle ihre Wartungslogistik und die Qualität
der Wartung deutlich verbessern können. Ein ganz
neues Geschäftsfeld für Festo, das erstmal nichts mit
dem Zerspanen von Aluminium zu tun hat.
Die zweite Beobachtung ist der Siegeszug des
3D-Drucks, der gerade erst angefangen hat. Im Moment sind noch viele Anwendungen der additiven Fertigung in den Kinderschuhen, aber vom
Flugzeugbau bis zur Häuserfertigung entstehen
ganz neue Möglichkeiten der ressourceneffizienten
Produktion, die die bestehenden Verfahren sicher
sinnvoll ergänzen werden. Die interessante Frage
aber ist, ob bestimmte Dinge in Zukunft immer noch
in Fabriken gefertigt werden müssen, oder ob ein
Nutzer sie sich direkt zuhause ausdrucken kann,
wie beispielsweise Ersatzteile.
Der Schnelle ist erfolgreicher als der Langsame. Spielt die Unternehmensgröße denn
keine Rolle mehr?
Simon Blake: Auch wenn es mit Sicherheit Ausnahmen gibt: Die Unternehmensgröße spielt in meinem Verständnis sicher nicht mehr die maßgebli
che Rolle. Früher konnte man durch schiere Größe viele Vorteile generieren, zum Beispiel beim Einkauf
von Rohstoffen oder durch Vertriebsmacht. Beides
kann eine Markteintrittsbarriere für Wettbewerber
darstellen. Das hat sich in vielen Bereichen durch
digitale Marktplätze, die als Vermittler auftreten,
massiv geändert. Diese sogenannten Plattformen
ermöglichen es auch kleineren Unternehmen, eine
optimierte Logistik zu entwickeln. Beispielsweise gibt es einen Anbieter, der europaweit Logistiklösungen verschiedener Anbieter vergleicht und mir auf meine Bedürfnisse hin ein
optimales Angebot per Knopfdruck ermittelt. Als
kleiner Produzent muss ich mich um das Thema
Versand einfach nicht mehr so stark kümmern.
Und im Bereich E-Commerce gibt es mittlerweile
für jeden Bedarf die passende Shopping-Plattform,
die ich entweder auf dem firmeneigenen Server oder
als Service nutzen kann.
Auch was das Thema Know-how angeht,
braucht der Kleine sich nicht unbedingt vor dem
Großen zu verstecken: Das deutsche Start-Up
DeepL hat laut vieler Vergleichstests die derzeit weltweit beste automatische Übersetzungsplatt
form entwickelt. Die Ergebnisse sind deutlich bes
ser als die Ergebnisse von Google! Das Team von DeepL hat einfach auf eine andere Art von Algo
rithmus als Google gesetzt und ist jetzt vorn. Da
passt der Spruch von Entrepreneurship-Professor
Faltin der FU Berlin wie die Faust aufs Auge: „Kopf
schlägt Kapital“.
Es sollte allerdings auch die Frage nach dem ROI nicht an erster Stelle stehen, weil sie die Kreativität im Keim erstickt, oder?
Simon Blake: Zuallererst sollte immer die Frage
beantwortet werden können, ob eine Erfindung
ein relevantes Nutzerbedürfnis bedient. ROIs
erschließen sich häufig nicht vom ersten Moment
an. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen die Fähigkeit entwickeln, viele kleine Innovationsex
perimente durchzuführen, ohne dabei ein großes (finanzielles) Risiko einzugehen. Wenn ich als Organisation mit meinen Kunden im Dialog stehe und mir schnelles Feedback auch zu unfertigen Ideen
einhole, erhöhe ich die Möglichkeit, das nächste
Große Ding zu entwickeln.
Bevor das passiert, muss ich zusätzlich die
Fähigkeit besitzen, die besten Experimente auszuwählen und schnell skalieren zu können. Hier findet der Wechsel von Experiment zu Effizienz statt. An
dieser Stelle sollte ich eine Idee davon haben, wie
groß ein Marktpotenzial sein könnte.
Google hat übrigens für seine Suchmaschine
knapp sechs Jahre gebraucht, bis sie mit Adwords
ein extrem erfolgreiches Geschäftsmodell gefunden
hatten.
Technologie, Geschäftsmodell und Kunde – das sind die drei Elemente, die notwen
dig sind, um eine Innovation erfolgreich werden zu lassen.
Bedeutet das, dass jede Innovation nach diesen Kriterien unter sucht werden muss?
Simon Blake: Zumindest dann, wenn es um sogenannte Sprunginnovationen geht, die nicht ein fach eine bestehende Lösung zehn Prozent besser machen. Wenn es um eine Lösung geht, die den Status Quo um den Faktor zehn verbessern soll, würde ich mir genau diese drei Elemente anschauen. Im Prinzip muss ich Antworten auf drei Fragen liefern können: Gestalte ich mit meiner Innovations- idee eine wünschbare Zukunft für den Kunden? Das ist die Frage nach der Wünschbarkeit. Diese Frage sollte immer zuerst beantwortet werden. Die zweite Frage ist dann die nach der technischen Machbarkeit, die in engem Zusammenhang steht mit der Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Kann ich also eine Lösung des Wunschszenarios technisch so realisieren, dass der potenzielle Kunde sich das finanziell leisten kann und ich als Organisation einen positiven Deckungsbeitrag erwirtschafte?
Herr Blake, Unternehmen sollten ein paar Cashcows im Produktportfolio haben und gleichzeitig nach Trends, neuen oder gar disruptiven Technologien Ausschau halten, um daraus wieder neue Cashcows zu entwickeln. Wie soll das ein kleines Unterneh men stemmen?
Simon Blake: Wenn sich das Unternehmen als Innovationsführer sieht, ist es geradezu überlebenswichtig, einen Teil der Erlöse aus dem Cashcow-Geschäft in Experimente zu investieren, die dazu dienen, neue Produkte, Services oder Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir beispielsweise haben uns vor einigen Jahren als kleines Unternehmen mit vierzehn Mitarbei
tern ein ganz neues Geschäftsfeld erschlossen, als wir begonnen haben, neben unserer Beratungsarbeit
auch Möbel für Teamarbeit zu entwickeln.
Durch unsere Arbeit haben wir bemerkt, dass
es bei unseren Kunden häufig keine praktischen
Arbeitsumgebungen für Teamarbeit gab. Als wir am
Markt nur bedingt geeignete Möbel gefunden haben, war das Bedürfnis klar erkannt. Also haben wir angefangen, aus den Möbeln, die ein Tischler für unsere eigene Arbeitsumgebung nach unseren Entwürfen hergestellt
hatte, Produkte zu machen. Ein erster Testmarkt waren
dann unsere Bestandskunden, die unsere Möbel auch schon von uns kannten und die bereits erlebt hatten,
welche Vorteile sie bieten. Seit letztem Jahr haben wir
dann den nächsten Schritt unternommen und einen
Onlineshop eröffnet, in dem die Produkte nun von
jedermann bestellt werden können.
Das spannende an dem Vorgehen ist, dass Sie
auch als kleines Unternehmen solche Wege gehen
können, wenn sie einen Weg finden, das Risiko mög
lichst für jeden Schritt zu minimieren.
Herr Blake, Sie messen dem Raum einen besonderen Wert bei, in dem innoviert werden soll. Wie sieht denn eine besonders Ideen fördernde Umgebung aus?
Simon Blake: Eine gute Arbeitsumgebung, in dem
Teams sich voll auf die Entwicklung konzentrieren können, sollte wie ein guter Butler sein: Unsichtbar, wenn er nicht gebraucht wird, aber immer zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Nach diesem Motto
gestalten wir unsere Räume und die unserer Kunden. Zunächst einmal geht es darum, die Grundbedürfnisse von Teams nach Luft, Licht und Platz zu bedienen, damit sie sich wohlfühlen und Höchstleistungen bringen können. Darüber hinaus spielt Flexibilität eine große Rolle: Das bedeutet, dass alle
unsere Möbel sehr einfach und flexibel zu nutzen
sind, damit man sie ohne großes Nachdenken der
Situation entsprechend anpassen kann.
Agile Innovationsentwicklung benötigt darauf
zugeschnittene Räume. Whiteboards können bei
uns beispielsweise mit einer Hand von der Wand
abgenommen werden, unterm Arm in den nächs
ten Raum mitgenommen werden und einfach an
einer anderen Wand wieder angeheftet werden. Der
Nutzer braucht sich gar keine Gedanken darüber zu
machen und kann sich dadurch voll auf die Inhalte
konzentrieren.