Strukturelle Hürden digitaler Innovation im sozialen Sektor

Soziale Innovationen erhalten dank einschlägiger, erfolgreicher StartUps und Initiativen immer mehr Aufmerksamkeit und sind im Kontext einer sich wandelnden Gesellschaft wichtiger denn je: Wir sind mit komplexen sozialen Problemen konfrontiert, die besondere Aufmerksamkeit für ihre systemischen Besonderheiten erfordern. Sie sind außerdem nicht ohne zivilgesellschaftliches Engagement zu bewältigen. Gleichzeitig täuscht diese durchaus kraftvolle Entwicklung nicht darüber hinweg, dass eine Vielzahl, insbesondere öffentlich-rechtlich geförderter oder sich in öffentlicher Trägerschaft befindlichen, sozialen (und kulturellen) Institutionen, trotz hoch engagierter Individuen und guter Ideen an diesem Wandel nicht teilhaben können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass digitale Innovation zunächst ein analoges Vorhaben ist bzw. es gewisser analoger Voraussetzungen bedarf, um den Weg für digitale Innovationsprozesse zu ebnen. Die Gebundenheit sozialer Initiativen an oft unzeitgemäße, ressourcenineffiziente Rahmenbedingungen eben jener Träger ist in diesem Sinne als ein stark innovationshemmender Faktor zu benennen.

Digitale Innovation erfordert zunächst analoge Voraussetzungen

Paradoxerweise sind es insbesondere von moralischer Überzeugung getriebene Projekte, die von den Möglichkeiten digitaler Innovation und Neuer Arbeit profitieren könnten: Wo hohe intrinsische Motivation und Expert*innenwissen auf knappe Ressourcen treffen, sind effektive Arbeitsweisen, eine auf Kollaboration ausgerichtete Haltung und eine starke Fehlerkultur vielversprechende Faktoren.
Ähnlich wie viele traditionell strukturierte, privatwirtschaftliche Unternehmen sind in der Realität auch soziale Organisationen in öffentlicher Trägerschaft aufgrund von Wissens- und Erfahrungs-Monopolen in Silos organisiert und meritokratisch aufgebaut, d.h. die Leistung des/r Einzelnen zählt. Während jedoch Mittelständler und Konzerne die Notwendigkeit der Einführung agiler Praxen verinnerlicht haben, hadern Entscheider*innen der sich als “Gegenstück” identifizierten Seite mit deren Anwendung im sozialen Sektor. Doch nur, weil ein Verein beispielsweise konträre Interessen zu einem Konzern vertritt oder beide sich gar ablehnend gegenüberstehen, schließt das die Anwendung ähnlicher Arbeitsweisen und Methoden nicht aus.

Sektorübergreifende Methodenkenntnis als Vehikel für Innovationsprozesse

Zudem sind die Geldgeber selbst, welche sämtliche Prozesse sozialer Initiativen vorgeben oder zumindest beeinflussen, als Gatekeeper für Innovation und Agilität zu benennen. Mit der Intention, allgemeingültige, vergleich- und messbare Auflagen zu schaffen, werden insbesondere kleinen Initiativen Prozesse auferlegt, die zum Teil wider ihrer Mission laufen. Darüber hinaus wird ein unnötig hoher Anteil der ohnehin begrenzten Ressourcen mit der Erfüllung bürokratischer Auflagen lahmgelegt.
Bevor also digitale Innovation geschehen kann, müssen zunächst Voraussetzungen für eine solche Transformation geschaffen werden. Das kann nur in Zusammenarbeit mit Trägern und Förderern passieren. Es ist daher notwendig, Auflagen und Prozessvorgaben so zu gestalten, dass sie zum einen den Trägern weiterhin den benötigten Einblick in Abläufe, Geldflüsse und Inhalte ermöglichen. Gleichzeitig sollte sozialen Initiativen und Einrichtungen jedoch genug Flexibilität gewährt werden, um innerhalb dieser abgesteckten Räume handlungsfähig zu bleiben, ihre Ressourcen zielführend einzusetzen und wahren Social Impact generieren zu können.

Kollaboration als Arbeitsgrundlage statt Kontrolle durch bürokratische Auflagen

Im Sinne des agilen Manifests der Scrum-Begründer stünden also zum Beispiel eine Revision bestehender Vertragsinhalte in Form eines kollaborativen Aushandlungsprozesses zwischen Geldgebenden und -Empfänger*innen am Anfang eines solchen Wandels. Es ginge darum, Form, Format, Zielgruppe und Nutzen von beispielsweise Projektdokumentationen, Protokollen, Informationsflüssen und/oder zweckgebundener Mittel zu (re)evaluieren. Darüber hinaus müssten Spiel- und Freiräume abgesteckt werden, innerhalb derer zugunsten von Angestellten, Klient*innen, Vereinsmitgliedern oder Freiwilligen, agiert werden kann. Schließlich muss eine kontinuierliche, vertrauensvolle Beziehung geschaffen werden, in der nach Bedarf und Möglichkeit beispielsweise eine Umverteilung von Ressourcen dem übergeordneten Purpose dienen kann.
Erst wenn soziale Einrichtungen und ihre (öffentlichen) Träger in einem kollaborativen Prozess Bedingungen für zielgerichtete, ressourcenschonende und sinnvolle Zusammenarbeit erarbeiten, werden die (analogen) Voraussetzung für digitale Innovation im sozialen Sektor geschaffen.

 

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