Kristine Biegman arbeitet seit vier Jahren als Innovationsberaterin, Coach und Trainerin für launchlabs Berlin. Im Interview erzählt sie, was agiles Arbeiten mit Unternehmen und vor allem den Mitarbeitenden macht – und welche Rolle hierbei auch die Raumgestaltung spielt.
Liebe Kristine, du arbeitest als Innovationsberaterin, Coach und Trainerin bei launchlabs. Was bedeutet Agilität für dich?
Für mich ist Agilität an erster Stelle eine Lebens- und damit auch Arbeitsphilosophie. Es bedeutet in Bewegung bleiben, dem Fluss, der Veränderungsenergie folgen. Nicht versuchen, sie zu verhindern, sondern einen Raum dafür zu schaffen.
Wie funktioniert das genau?
Erstens sind gutes Zuhören und genaues Beobachten wichtig. Denn es geht darum, Entwicklungen und Bedürfnisse im aktuellen Umfeld zu erkennen. Erfolgreich sind die Organisationen, die sich mit offenem Geist aus verschiedenen Blickwinkeln diese Themen anschauen, dadurch erfrischende Perspektiven entwickeln und dann mit passenden, nicht alltäglichen Lösungen reagieren.
Außerdem braucht es Innenschau und Energie um das eigene agile Mindset zu stärken: das Unternehmen sollte prinzipiell offen für Veränderungen und Innovationen sein und ‘was da draußen passiert’ als Inspirationsquelle statt als Gefahr einstufen, und dementsprechend die eigenen Arbeitsstrukturen gestalten.
Das ist ja für traditionelle Unternehmen oft nicht so einfach.
Das stimmt. Früher dachte man, man kann mit einem unumstößlichen Masterplan die Welt erobern, wenn man nur möglichst nicht von ihm abweicht. Aber das ist eine illusion. Denn: Welche Welt genau wollen wir erobern? Wie sieht sie aus? In unserer Zeit, in der wir uns fast jeden Tag an eine neue Normalität gewöhnen müssen, ist alles in Bewegung. Die Zukunft kann endlos viele Formen haben. Eigentlich ist diese Zeit ideal für agiles Arbeiten. Nur mit agilen Ansätzen kann man in Zeiten des Umbruchs die passende Richtung finden und die Zukunft sinnvoll mitgestalten.
Wie kann man die Offenheit in Unternehmen fördern?
Ich arbeite mit Menschen an ihrem Fundament. Damit sie das Vertrauen gewinnen, dass sie in der Lage sind, dauerhaft konstruktiv mit Veränderungen umzugehen. Und damit arbeite ich an dem Fundament eines Unternehmens – in dieser Reihenfolge.
In meinen Workshops gehe ich am Anfang spielerisch vor und versuche, die Leute aus ihren üblichen Denk- und Handelsweisen zu holen, erstmal weg von ihren eigenen Themen. Denn einige Mitarbeiter arbeiten schon seit Jahren oder Jahrzehnten in den gleichen, oft hierarchischen Strukturen.
Was bedeutet spielerisch?
Durch strukturierte praktische Übungen helfe ich den Teilnehmenden dabei, die Prinzipien und Vorteile einer agilen Herangehensweise selbst zu erleben. Diese haben kaum etwas mit ihrem direkten Alltag zu tun. Das ist meine Absicht, damit sie nicht in ihrem üblichen Denken stecken bleiben. So ein Durchlauf dauert nicht länger als 45 Minuten.
Dadurch wird vielen klar, dass die Welt unvorhersehbar ist, und ein offenes Ohr und Auge, dem Kunden oder Nutzer gegenüber, unverzichtbar ist. Dass geschäftlicher Elan weitgehend auf Empathie und schnelle Zyklen zurückzuführen ist. Und das es in Ordnung ist, eine bestimmte Unsicherheit zu haben. Außerdem bringt eine “einfach mal ausprobieren“ – Haltung Erfolg. Den meisten macht es Spaß, agil zu arbeiten, weil man sich persönlich einbringen kann und Sachen neu denken darf – nein sogar muss!
Die Reaktion ist von daher oft die Frage: “Warum kann man nicht immer so arbeiten?” Denn die Leute sehen, dass sie auch losgelöst von Wasserfall-Strukturen zu Ergebnissen kommen. Und das sogar besser als vorher. Sie gewinnen Ideenreichtum und Leichtigkeit zurück, sehen den Sinn oder Unsinn ihrer Arbeit ein, weil sie näher an den Nutzern und ihren Bedürfnissen sind. Für sie sind die ersten Übungen oft echte Aha-Momente.
Machen dann alle wirklich mit?
In 98% der Fälle ist die Antwort “Ja”. Vielleicht auch, weil ich einerseits persönlich tief an “agil” glaube – wenn an den richtigen Stellen eingesetzt! – und andererseits gut nachvollziehen kann, in welchem Arbeitsumfeld die Teilnehmenden sich derzeit bewegen und welche Fragen und Unsicherheiten der agile Ansatz aufwerfen kann. Das macht es leichter, klar und offen zu kommunizieren, ohne zu predigen oder zu verteidigen. Mit einer Portion positivem Denken und Humor lade ich sie ein sich auf Neues einzulassen und reiche einen metaphorischen Fallschirm an, wenn sie springen.
Ich achte auch sehr darauf, das Spiel an ihre Realität anzuknüpfen. Es ist sehr wichtig, dass diese Übersetzung in gemeinsamer Reflexion stattfindet. Ich habe das Glück, dass ich auch in großen, hierarchisch organisierten Unternehmen gearbeitet habe, beide Welten kenne und somit besser Brücken schlagen kann.
Nice to know: Oft sind es sogar die etwas älteren Menschen, die aufblühen. Es gibt aber auch jüngere, die mit Erschrecken realisieren, schon sehr früh ihre Kreativität in der Arbeit verloren zu haben. Beides berührt mich zutiefst und es ist die größte Inspirationsquelle meiner Arbeit. Für mich gibt es nichts wichtigeres, als dass Menschen sich sicher fühlen und ganz in ihre Arbeit einbringen können.
Welche Herausforderungen bringt Agilität mit sich?
Oft wird gedacht: “Es sind die Menschen, die einer agilen Transformation im Weg stehen. Die sind einfach zu starr, nicht mutig genug, nicht kreativ, die wollen nicht”. Genau dieses Denken bremst die Sache.
Ich begegne tatsächlich Menschen, die haben oft schon lange versucht, ein bestimmtes Problem zu lösen. Sie glauben nicht mehr daran, dass es doch geht, oder anders funktionieren kann. Die sind mit ihrer Kreativität zu oft gegen bürokratische Wände gestoßen. Oder das Unternehmen hat sich so oft geändert, dass die Mitarbeitenden müde geworden sind.
Andere sind zwar jung und unerfahren, aber aufgeschlossen. Ihr erfrischender Blick auf die Dinge ist leider nicht immer willkommen und neue Ideen werden zur Seite geschoben.
All das führt zu einer bestimmten Passivität, einem Zynismus, einem Kreativitätssterben, einem Selbstverlust. Ich bin fest davon überzeugt: Menschen sind von Natur aus anpassungsfähig und ideenreich. In solchen Situationen hilft es, die eigene Kreativität und Wirkungskraft neu zu entzünden, erstmal losgelöst vom Unternehmen. Gleichzeitig soll eine Verbindung mit gleichgesinnten Unternehmenspionieren und mit den Führungsebenen hergestellt werden. So wird das agile Wissen und Verständnis dafür im Unternehmen vergrößert, damit mehr durchlässige Strukturen und Wertschätzung für Neues entstehen können.
Ich treffe außerdem Menschen, die sehr lange in denselben Strukturen erfolgreich gearbeitet haben, und zunächst kritisch sind und sagen: “Das ist nichts für mich. Warum soll ich? Es läuft doch gut so?” Denen gebe ich manchmal Recht: Nicht immer und überall macht “agil” Sinn, und nicht jeder soll so arbeiten. Da suche ich das Gespräch: Wie sieht die Vision aus? Wo soll agil zielführend sein?
Das gleiche gilt für Unternehmen, die agil werden wollen, um dem Trend zu folgen. Agil ist ja ein viel gehörter Begriff: “Wer das nicht drauf hat, kann es vergessen” ist eine viel gehörte Meinung. Vor allem, wenn der Ruf nach Veränderung laut “von oben” kommt, ohne klare Begründung und ohne den Willen, eine passende Struktur aufzubauen und den Führungsstil unter die Lupe zu nehmen, bin ich erstmal zurückhaltend. Auch hier hinterfrage ich kritisch den Zweck, damit “agil” nicht zu einem trendigen, aber leeren und damit nutzlosen Konzept wird.
Schließlich komme ich in Organisationen, die wohlwollend sind und Innovation positiv gegenüberstehen: Sie schicken ihre Mitarbeitenden in eine andere Umgebung mit der klaren Ansage, neues zu entwickeln. Manche hören sogar von ihren Führungskräften: “Ihr müsst keine Leistung erbringen, dürft aber alles ausprobieren.” Wie progressiv und frei das auch klingt, oft sind die Menschen total verwirrt, fragen nach einer klaren Ausrichtung. Da stoße ich oft auf große Leadership-Themen und es ist die eigentliche Aufgabe, nicht die agile Transformation weiter zu treiben, sondern Führung neu zu definieren.
Im allgemeinen versuche ich feste Strukturen und Denkweisen aufzubrechen, Empathie als Schlüsselwort einzuführen und Raum zu schaffen für Menschen die offen sind und Spaß daran haben, neues auszuprobieren. Und so lassen sich schließlich auch manche Kritiker überzeugen.
Also: Ich plädiere für eine selektive, von Energie getriebene Wende in Unternehmen. Nur wo an komplexen Problemen in einem dynamischen Umfeld gearbeitet wird und nur dem, der Neugier und Spaß daran hat, unbekannte Wege zu gehen, empfehle ich “agil” einzusetzen. Es ist kein Wundermittel für alle in jeder Situation. Und das ist gut so.
Kann launchlabs ein Vorbild sein in diesem Bereich und wenn ja wie?
Wir versuchen selbst so agil wie möglich zu arbeiten. Wir probieren viel aus, und reflektieren, ob es für uns und die Situation passen kann. Alle Teammitglieder bei uns haben ein offenes Ohr und ein positiv-kritisches Auge. Sie können gut zuhören, sind geübt in Feedback geben und überlegen, wie wir Strukturen weiter verbessern können. Unser Zusammenhalt ist auch besonders stark. Wir sind füreinander da und nehmen Rücksicht auf die einzelnen Bedürfnisse der Kollegen. Auch unsere Büroräume sind flexibel gestaltbar durch die Möbel von What if we fly. Das hilft der Kreativität auf die Sprünge.
Wie wichtig ist die Raumgestaltung für agiles Arbeiten?
Der Raum, in dem wir arbeiten, macht viel mit uns. Wir lassen ihn auch absichtlich für uns wirken. Bei launchlabs können wir im Sitzen oder Stehen arbeiten, uns frei bewegen, uns in Teams zusammensetzen. Aber es ist genauso möglich, sich zurückzuziehen und allein zu arbeiten oder zu telefonieren. Ein wirkungsvoller Raum ist aber nicht rein funktional: es geht auch um die Ästhetik, um überraschende Elemente, um eine häusliche Atmosphäre, wo man entspannt und inspiriert arbeiten kann. Raum und Kultur in einem Unternehmen beeinflussen sich gegenseitig enorm. Bei uns ist alles sehr offen gestaltet, das öffnet auch die Menschen. Ich liebe es, wenn Kunden uns besuchen und sagen: “Aber so will ich auch arbeiten!” Wir schauen dann, wie wir das – passend zu ihrem Kontext – in ihren Räumlichkeiten möglich machen können. Sowas braucht, außer ein paar smarten Eingriffen, vor allem eine Vision.
Was würdest du dir wünschen?
Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, die empathisch ist und offen, die verschiedene Perspektiven zulässt. It´s all about the mindset!
Sie haben Fragen oder wollen sich mit uns zu diesem und weiteren Themen austauschen? Schreiben Sie uns an hello@launchlabs.de