Wie Salsa auf Agilität trifft
Salsa tanzen ist meine Leidenschaft. Wenn ich tanze, fühle ich mich unbeschwert, voller Energie und einfach glücklich.
Manchmal gibt es diese Momente, in denen ich mit einer wildfremden Person tanze und wir verstehen uns sofort. Nur der Musik folgend sind wir, zwei Personen, die sich nicht kennen, in absoluter Harmonie. Wir kennen weder unsere Tanzstile, noch unsere Bewegungen und zudem haben wir keinerlei Vertrauensbasis. Jedes Mal, wenn das passiert, bin ich fasziniert und frage mich: Was sind die Gründe dafür? Und was können wir aus diesem Phänomen für Organisationen lernen?
Wenn wir nach agilen Grundsätzen arbeiten, müssen wir viel verändern. Wir müssen die Tanzpartner:innen wechseln (z.B. neue Teams oder Führungskräfte), zu neuen Liedern (z.B. nach neuen Prozessen arbeiten) auf einer neuen Tanzfläche tanzen (z.B. in einer neuen Umgebung arbeiten). In den nächsten Abschnitten erörtere ich, was meiner Meinung nach wichtige Bedingungen für einen guten Salsa Tanz sind und wo ich Parallelen zur agilen Arbeitsweise sehe.
Erkenntnisse
1.) Werkzeuge, Abläufe und Interaktionen.
Bei einem Paartanz wie Salsa ist es wichtig, dass beide Partner ein gewisses Grundverständnis für die Schritte und ein Gefühl für die Musik haben. Das Paar muss nicht die gleichen Figuren kennen, aber darauf gefasst sein, sich bei etwaigen Fehltritten wieder in die Musik einzufinden. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Tänzer aufrichtig miteinander interagieren. Beim Tanzen sind keine Worte nötig. Es geht um Wahrnehmung und nonverbale Kommunikation, die, wie ich glaube, selbst eine universelle Sprache ist. Wir lernen, unsere Partner sehr genau zu lesen, indem wir uns auf die kleinsten Gesten konzentrieren. Es geht darum, den anderen zu lesen, um den nächsten Schritt auszurichten, und sich darauf einzulassen, ihm zu folgen, und zwar durch stille Beobachtung, Einfühlungsvermögen und Intuition. Ohne Worte wird man verstehen, welcher Schritt als nächstes kommt.
Sich auf diese Art auf ein Projekt einzulassen, knüpft an den ersten Wert des agilen Manifests an. Dieser besagt, dass Menschen und Interaktionen über Prozessen und Werkzeugen stehen. Auch wenn Prozesse und Werkzeuge helfen, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu entwickeln, sind es die Menschen, die es entwerfen, bauen, betreiben und verbessern. Das beste Werkzeug in den falschen Händen ist wertlos. Es ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Personen und die Interaktion zwischen den Teammitgliedern, die ihnen hilft, zusammenzuarbeiten und auftretende Probleme zu lösen.
2.) Sei präsent und kommuniziere.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen beim Salsa Tanz ist es, im Moment präsent zu sein. Während der Leader die nächste Figur plant, muss der Follower genau beobachten und spüren, was als nächstes kommt. Kleine Ablenkungen von außen können zu Fehlinterpretationen von Bewegungen führen und zur Folge haben, dass man aus dem Rhythmus gerät. Der Follower befindet sich in einem ständigen Zustand der Ungewissheit, weil er/sie nicht vorhersagen kann und sollte, was passieren wird, da man sich sonst auf eine mögliche zukünftige Figur vorbereitet, die nie kommt.
Hier sehe ich eine Parallele zu der agilen Vorgehensweise „inspect and adapt“. Wir probieren aus, beobachten, justieren nach und machen weiter. Dadurch können wir die Komplexität mit all ihren Unbekannten bewältigen. Das bedeutet, sich Zeit zu nehmen, um regelmäßig zu überprüfen, was passiert ist, wo man steht, wie es läuft und diese Erkenntnisse dann zu nutzen, um Anpassungen vorzunehmen und sich zu verbessern. Wie beim Tanz geht es darum, zu schauen, was in der Gegenwart ist und zu spüren, was passieren könnte, anstatt in eine Kristallkugel zu schauen und die Zukunft vorherzusagen. Dies knüpft an den von Otto Scharmer geprägten Begriff des „Pre-Sensing“ (Presencing und Sensing) an, der im Grunde bedeutet, lernen aus der in die Gegenwart-kommende Zukunft.
3.) Spannung ist erforderlich.
Im Tanz ist das richtige Maß an körperlicher Spannung zwischen den Tanzpartnern wichtig. Zu viel Spannung macht einen Tanz schwer und steif. Wenn es im Gegenteil überhaupt keine Spannung gibt, kann sich der Tanz nicht entfalten. Die Spannung ist notwendig, damit beide zusammenarbeiten und herausfinden können, wohin die nächste Bewegung geht. Im Tanz gibt es meiner Meinung nach verschiedene Arten von Spannungen, die wichtig sind. Natürlich gibt es die Körperspannung zum Beispiel die Spannung in den Armen, aber es gibt auch die geistige Spannung, die tiefe Konzentration und die Verbindung hin zur anderen Person.
In der agilen Arbeitswelt sprechen wir oft über spannungsbasiertes Arbeiten und darüber, dass Spannungen nicht per se negativ sind, sondern Wertneutral. Spannungen sind wie nicht freigesetzte Energie, die wir auf unsere Ziele lenken können. Allerdings nur wenn wir herausfinden, wo wir das richtige oder falsche Maß an Spannung haben, verstehen wir, wo wir etwas ändern müssen. Wie beim Salsa sollte es das Ziel sein, zusammen auf eine gemeinsame Vision hinzuarbeiten. Wenn man in einem Team oder einer Organisation Widerstand spürt, dann sind die Menschen vielleicht noch nicht so weit. Und wir müssen ein wenig zurückrudern, um zu spüren und zu verstehen, was vor sich geht, und uns dann wieder darauf einstellen. Nichts drängen oder erzwingen, denn dann geht der Zauber des Tanzes verloren. Lasst uns noch spannungsbasierter Arbeiten. Es gibt jede Menge potenzielle Energie, die aber noch nicht freigesetzt ist! Lasst uns die Energie entdecken, damit sie freigesetzt werden kann!
4.) Vertrauen ist essentiell.
Insbesondere als Follower ist es wichtig, dem Leader zu vertrauen. Man muss daran glauben, dass der Leader während des Tanzes anleitet und auf einen aufpasst. Das bedeutet, dass er oder sie dafür sorgt, dass man nicht mit anderen Leuten zusammen stößt und dass man für jede Figur, die als nächstes kommt, bereit ist. In ähnlicher Weise muss der Leader dem Follower vertrauen, dass dieser bereit ist, sich führen zu lassen. Gleichzeitig kann ein Leader nur Angebote machen, der Follower kann immer noch entscheiden, ob er oder sie die Einladung zum nächsten Tanzschritt annimmt. Beim Salsa-Tanzen kann es zudem zu engem Körperkontakt kommen. Es ist wichtig, dass jeder seine eigenen Grenzen kennt und sie kommuniziert.
Meiner Meinung nach gibt es verschiedene Ebenen des Vertrauens, die ein agil arbeitendes Team braucht. Zunächst muss das Vertrauen innerhalb des Teams vorhanden sein. Nur mit einem guten Vertrauensklima sind agile Teams in der Lage, effektiv zu kommunizieren und sich damit schnell auf sich abzeichnende Veränderungen einzulassen. Mangelndes Vertrauen führt oft dazu, dass viel Zeit mit Dokumentieren und Berichten verbracht wird. Wenn sich das Team und die Führungskräfte allerdings vertrauen und sie daran glauben, dass jeder sein Bestes tut, um zum selben Ziel beizutragen, ist eine kollektive Verantwortungsverteilung möglich.
5.) Keine Ego Show.
Für mich geht es beim Salsa-Tanz nicht darum zu beweisen, dass man der oder die Beste ist, sondern darum, das Beste aus der Kombination der beiden zu machen. In einem Paar zu tanzen bedeutet, dass man sich gemeinsam bemüht, einen einzigartigen Moment zwischen einander zu schaffen. Tolle Figuren zu zeigen, kann schön sein, aber nur, wenn der/die Tanzpartner:in mitmacht. Die Rollen des Leaders und des Followers sind in manchen Fällen nicht einmal mehr klar.
Auch in agilen Arbeitsumgebungen können wir beobachten, dass sich die Rolle der Führungskraft verändert. Wer führt und wer folgt, ist in der neuen Welt manchmal gar nicht mehr so eindeutig, denn der Fokus liegt viel eher auf Ko-Kreation. Wenn wir uns die agilen Führungsstile ansehen, stoßen wir häufig auf den Begriff des „Servant Leader“. Dieser Führungsstil befähigt andere, sich zu entwickeln und Höchstleistungen zu erbringen. Anstatt Aktivitäten zu kontrollieren, geht es eher darum, zusammenwirkende Beziehungen zu schaffen. Wie beim Tanzen geht die Medaille am Ende nicht an eine einzelne Person, sondern an das Team und das gemeinsam erreichte Ergebnis.
6.) Hab Spaß!
Es geht darum, sich lebendig zu fühlen: so macht es Spaß! Suche den einfachsten Weg, gehe den natürlichsten nächsten Schritt. Denk nicht an das Endergebnis oder daran, was andere von dir denken könnten, vergiss, was schief gehen könnte, und vertraue darauf, dass dir jeder Schritt einen neuen Weg zeigen kann und du im Flow sein wirst. Es geht auch darum, loszulassen: Lass die Erwartungen an den/die andere/n und an das Ergebnis des Tanzes los, also wie die Dinge laufen oder sein SOLLTEN, und lass die Erwartung an dich selbst los, also wie du auftreten solltest, wie dich dein/e Tanzpartner:in oder das Publikum wahrnimmt.
In der Arbeitswelt sind viele Menschen immer noch der festen Überzeugung, dass Arbeit weder Spaß machen, noch leicht sein sollte. „Es soll keinen Spaß machen, deshalb nennt man es ja auch Arbeit“. Im Gegensatz dazu bin ich überzeugt, dass es ein persönlicher Erfolg ist, eine Arbeit zu finden, die man liebt. Wenn Menschen sich für ihre Arbeit begeistern, sind sie produktiver und bereit, Zeit und Leidenschaft in Projekte zu investieren.
Fange an, Parallelen zu finden
Dieser Artikel ist kein Aufruf dafür, dass alle agilen Team und Führungskräfte Salsa tanzen lernen sollten. Mit diesem Artikel teile ich meine Beobachtungen darüber, wo ich “Angewandte Agilität” in meinem privaten Umfeld sehe. Ich habe für mich interessante Parallelen entdeckt und festgestellt, dass einige agile Prinzipien in anderen Kontexten ganz intuitiv angewendet werden.
Öffne auch du deine Augen, wo werden agile Prinzipien und Werte in deinem tagtäglichen Leben angewandt? Was ist dort anders wie in einem Organisationsumfeld? Warum ist es in diesem Kontext vielleicht einfacher? Und wie können wir Synergien nutzen, um die agile Transformation in Organisationen voranzutreiben?
Mira Vanessa Gampp