Braucht Agilität Anerkennung?

In der neusten Ausgabe des launchlabs Podcasts beleuchten Sozialphilosophin und Wirtschaftsethikerin Dr. Dana Sindermann und launchlabs Managing Partner Dr. Simon Springmann Agilität und Anerkennung. Im Gespräch mit Moderatorin Laura Chiesa erarbeiten sie, was hinter den Begriffen steckt und wie Agilität und Anerkennung miteinander verbunden sind.

Warum Agilität?

Dr. Simon Springmann: Warum und wozu sollen wir uns mit agilem Arbeiten beschäftigen? Nur, weil es heutzutage in aller Munde ist und andere es auch tun, oder weil wir nicht als altmodisch abgestempelt werden wollen? Das wäre eine schwache Begründung. Aus unserer Sicht spricht eine Reihe weitaus besserer Gründe dafür, sich mit Agilität auseinanderzusetzen.

Um es in einem Wort zusammenzufassen: Komplexität. Wir leben in einer Welt, in der wir mit einer gestiegenen Komplexität und einem sich beschleunigenden, permanenten Wandel umgehen müssen – darin sind sich die meisten Expert*innen mit Verantwortungsträger*innen aus der Praxis einig.

Was sind Treiber dieser Komplexität? Zwei Hauptursachen sind die beiden Megatrends Globalisierung und Digitalisierung. Das wird sicher keine Überraschung sein. Man findet diese beiden Faktoren nahezu in jeder zweiten Präsentation. Darüber hinaus prägen sie auch unseren Alltag: Wir reisen in ferne Länder und lesen unsere Urlaubslektüre auf einem eReader. Globalisierung und Digitalisierung haben einen steigenden Wettbewerbsdruck bei gleichzeitig sich rasant verändernden Erwartungen seitens der Kund*innen zur Folge. Damit geht die Notwendigkeit einher, schneller, effizienter, flexibler und innovativer zu sein als je zuvor. Das stellt Unternehmen in ihrer bisherigen Struktur vor enorme Herausforderungen.

 

Was ist Agilität?

Dr. Simon Springmann: Unter Agilität verstehen wir im allgemeinen Sprachgebrauch die Fähigkeit, sich zügig an ändernde Rahmenbedingungen anpassen zu können. Agilität wird häufig synonym mit Flexibilität, Wendigkeit, Schnelligkeit etc. verwendet. Zusätzlich meint agil häufig, proaktiv und innovativ zu sein, sich also nicht ausschließlich anzupassen, sondern der Konkurrenz bereits einen Schritt voraus zu sein und Trends mitzugestalten. 

Die “agile Familie” umfasst aus unserer Sicht eine Reihe von Frameworks wie zum Beispiel Design Thinking, Lean Start-Up, Scrum, skalierte Formen von Scrum (wie SAFe, Nexus und andere), oder Kanban.

 

Welche Werte stehen hinter Agilität?

Dr. Simon Springmann: Es gibt eine ganze Reihe von agilen Werten, von denen wir hier einige herausstellen möchten, die uns besonders wichtig sind. Am einfachsten lassen sich diese Werte vielleicht an dem Verhalten von Personen illustrieren, die ein agiles Mindset, verinnerlicht haben:

  • Menschenzentrierung: Sie stellen bei komplexen Problemstellungen konsequent den Menschen in den Mittelpunkt, d.h. sie versetzen sich empathisch in die Perspektive der Nutzenden, spüren deren Bedürfnisse und Schmerzpunkte auf und formulieren so konkrete Challenges. Dies ist eine enorme Komplexitätsreduktion, die es braucht, um handlungsfähig zu werden.
  • Iteratives Vorgehen in Lösungssprints: Sie arbeiten in schnell getakteten Zyklen, um aus unfertigen Ansätzen schnell zu lernen und die Lösung zu optimieren.
  • Experimentelles Vorgehen: Sie lernen unter unklaren Rahmenbedingungen mithilfe von Hypothesen und Tests, welche Lösungsansätze wertvoller sind als andere.
  • In Systemen denken: Sie verstehen Herausforderungen und Probleme in einem systemischen Zusammenhang, d.h. sie können die Perspektive unterschiedlicher Stakeholder, Nutzenden, Kund*innen etc. einnehmen und diese in ihrer Gesamtheit einordnen

 

Warum Anerkennung?

Dr. Dana Sindermann: Jeder Mensch braucht Anerkennung, um ein zufriedenes Leben zu führen und eine gelungene Identität zu entwickeln. Ob in Freundschaften, in der Familie, der Liebesbeziehung oder im Beruf. Wir Menschen sind hoch soziale Wesen und brauchen positives Feedback von anderen. Dieses Feedback ermuntert uns, dranzubleiben, uns auszuprobieren, Neuland zu erkunden und uns weiterzuentwickeln. Indem wir uns mit anderen im gemeinsam geteilten Raum weiterentwickeln, gestalten wir ihn auch. Wir tun also etwas, das nicht nur uns individuell betrifft und weiterbringt, sondern auch andere und unsere Umgebung. 

 

Was ist Anerkennung?

Dr. Dana Sindermann: Auf jeden Fall bedeutet Anerkennung mehr als Lob oder eine würdigende Geste von der Chefin. Anerkennung bedeutet vielmehr, dass wir aufeinander eingehen. Ist es nicht das, was wir uns wünschen? Dass wir einander aufmerksam begegnen und den anderen Menschen wirklich sehen. Und zwar in seinen Fähigkeiten, seinen Interessen, seinen Wünschen oder Bedürfnissen. Diese Idee, wirklich zu sehen und gesehen zu werden, steckt bereits im Wort «Anerkennung»: Wir erkennen etwas im anderen und er erkennt etwas in uns.

Beispielsweise erkennt Ada, dass Bibi ein Supertalent im App-Programmieren ist. Und Bibi hat ein Supertalent im Kreieren von interaktiven Apps. Dann sagen beide: “Cool, lass uns zusammenarbeiten!” Sie nehmen jeweils die Ideen der anderen an. Da wären wir beim Anerkennen. Und sie bereichern diese Ideen mit ihren eigenen Ideen und Fähigkeiten. So erschaffen sie etwas zusammen, entwickeln sich beide weiter und bringen bestenfalls eine App auf den Markt, die auch für andere von Wert ist. Diese spezielle Form der Kooperation ist eine immaterielle Form der Anerkennung, der Wert besteht so gesehen aus Erfüllung, Erfolgsgefühlen und dem Gefühl, zu etwas Wichtigem beizutragen.

Daneben ist im Beruf natürlich auch die materielle Form der Anerkennung wichtig, also eine angemessene Vergütung. Im Idealfall herrscht in Anerkennungsverhältnissen im Job übrigens Machtsymmetrie. Die Menschen, die zusammenarbeiten, sind sich in ihren Positionen also ebenbürtig. 

 

Werte und Anerkennung

Dr. Dana Sindermann: Ich würde sagen, Anerkennung ist selbst eine Art von Wert, aber das würde jetzt ziemlich abgehoben. Darum überspringe ich den Punkt. 

 

Wie hängen Agilität und Anerkennung zusammen?

Dr. Dana Sindermann: Anerkennung leben, bedeutet in Bewegung-Sein. Wir kooperieren in einer dynamischen Weise mit der anderen. Denn wir stimmen unser Verhalten, unsere Handlungen, wendig und konstruktiv auf das Verhalten und die Handlungen der anderen ab, indem wir uns auf sie einlassen, indem wir, was sie uns anbieten, an uns nehmen und weiterentwickeln. 

Eine Voraussetzung dafür, dass wir uns anerkennen können, ist, dass der Mensch mit seinen Ideen, Interessen und Fähigkeiten im Mittelpunkt steht. Diese Personenzentriertheit haben Anerkennung und Agilität gemeinsam. Der Mensch ist Mittelpunkt. Der Mensch ist der Punkt, an dem Unternehmen, wenn sie eine Kultur der Anerkennung schaffen wollen, ihre Organisationsstrukturen, Prozesse und Tools ausrichten. Das heißt auch, die Strukturen und Prozesse laden Mitarbeitende ein, die Organisation proaktiv mitzugestalten. Ein inklusives Arbeitsklima gehört wie selbstverständlich zu einer Kultur der Anerkennung, so wie sie auch Teil des agilen Arbeitens ist. 

 

Die Antwort: Agilität braucht Anerkennung, um wirklich erfolgreich zu sein.

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